Pfarrkirch zum hl. Martinus

a. Die alte Kirche

Die alte Kirche bestand aus einem Schiff mit Chor und Sakristei. Über dem Haupteingang an der Westseite erhob sich ein maßig hoher Thurm in Holz, bis zum Helm mit Schindeln gedeckt. Das niedliche Chor in tadellosem romantischen Stile bildete einen scharfen Kontrast gegen das Schiff, welches durch die Unregelmäßigkeit seiner Formen anzeigte, daß es ursprünglich nicht zur Kirche bestimmt war. Vermuthlich war es der Rest einer alten Ritterburg, welche, an Umfang viel bedeutender als die Kirche, theils abgebrochen, theils zu einem Gotteshause erhalten und umgeschaffen wurde. So erklärt sich nicht nur das vielgestaltige ungleiche Mauerwerk, sondern auch die um die Kirche im Boden vorhandenen Überreste längst verschwundener Bauwerke, darunter sehr viele aus dem Römercanal. Die Bemerkung Vinterim's, daß viele alte Kirchen ehemals Hofkapellen gewesen, scheint im vorliegenden Falle auf's neue sich zu bestätigen. Zuerst bestand die Ritterburg, dann Burg und Kapelle, demnach wurde die Burg geräumt und die Kirche auf ihre Kosten erweitert: So schritt die Kapelle zur Pfarrkirche fort. Beim Abbruch der Kirche fanden sich im Sepulchrum des Hauptaltars in einem bleiernen Schächtelchen Reliquien mit der Aufschrift S. Martini und darüber das Siegel des Erzbischofs Philipp von Heinsberg (1167-1191) in Wachs. Dieser Kirchenfürst hat demnach die Consecration des Altars, vielleicht auch die der Kirche vollzogen. Die alte Kirche genügte wegen ihres viel zu engen Raumes schon lange der Seelenzahl der Pfarre nicht mehr. Sie wurde, nachdem im Jahre 1867 eine neue große Kirche erbaut war, vollständig verwahrlost und theilweise abgebrochen.

Professor Dr. Floß in Bonn berichtet in den Annalen des historischen Vereins über einen Fund, welcher bei dieser gelegenheit gemacht wurde, wie folgt: Beim Abbruche der alten Pfarrkirche zu Merten wurde in einem Grabe in der Kirche eine Leiche mit theilweise noch erhaltenen Kleidungsstücken von grüner Farbe angetroffen, zur Linken der Leiche ein silbernes Hörnchen, etwa 1/3 Fuß groß, zur Rechten ein kleiner Behälter von grün glasiertem Steingut, längliches Rechteck mit Schiebdeckel, auf letzterm "IHS". In dem Behälter befand sich nebst einigen Reliquien folgendes Document, das Generelle gedruckt auf Pergament, die Daten und Namen geschrieben. Auf der einen Seite des Pergamentstreifens zur Linken ist das Wappen des Weihbischofs Stravius mit der Aufschrift:

Juste et pie

darunter

GEORGIVS PAVLVS STRAVIVS
EPVS JOPPEN. SVFFRAGANEVS
COLONIEN.

Das Document trägt das Siegel das Weihbischofs und ist in seinem Auftrage von seinem Geheimsecretair (sacrarum ordinationum scriba) Peter Hergarden unterzeichnet. Demnach weihte Stravius am 5. December 1650 in der Pfarrkirche zu Merten einen Altar zu Ehren der h. Jungfrau Maria und des h. Joseph und legte Reliquien von der Gesellschaft der h. Ursula hinein. Die an dem Consecrationstage anwesenden Gläubigen erhielten ein Jahr, die am Jahrestage der Consecration die Kirche Besuchenden vierzig Tage Ablaß.

Zu bemerken ist das Datum des 5. December. Es ist der Festtag der heiligen Barbara, welcher in der Kirche ein besonderer Altar geweiht war. Der Altar der h. Barbara war mit einer bedeutenden Stiftung verbunden und hatte seinen eigenen Deservitor. Es ist dieses der Urspruchg der Vicarie, worüber an geeigneter Stelle das Nähere zu berichten sein wird. Floß sagt zum Schluß seines Referats: "Wie das Reliquiar in das Grab gekommen und was das Hörnchen bedeutet, ist nicht bekannt." Offenbar steht das Reliquiar mit dem Grabe oder der in dem Grabe Ruhenden nicht in engerer Beziehung, und ist es sehr zufällig, dass das eine in dem andern seine Stelle erhielt. Das Hörnchen und die grüne Kleidung scheinen von einem Manne aus dem Ritterstande zu stammen. Er war in vollständigem ritterlichen Jagdanzug in Stiefeln und Sporen begraben.

Ein Fenster rechts vom EIngange der Kirche war durch zwei kreisförmige alte Glasmalereien ausgezeuchnet. Die eine stellte den h. Martinus als Krieger dar, wie er einem Armen einen Theil seines Mantels übergibt, darüber in kleinem Format des Bild eines Engels, vielleicht des h. Erzengels Michael. Der Präsident des Bonner Alterthums-Vereins, Herr aus'm Werth, erwarb beide Bilder für 150 Mark.

Entsprechend dem schönen romantischen Chor der Kirche steht in der Kirchhofsmauer ein der Dorfstraße ein in gleichem Stil erbauter Thorbogen in klassischer Form. Den Bericht über die alte alte Pfarrkirche kann ich nicht schließen, ohne den Wunsch auszusprechen, daß diese beiden ehrwürdigen Überreste mittelalterlicher Kunst dem spätern Andenken mögen in würdiger Weise erhalten bleiben. Nichts wäre einfacher, lohnender und schöner, als das zierliche Chor durch eine Mauer abzuschließen und zu einer Kapelle einzurichten.